„Sachen weg, wir schreiben eine Prüfung!“ Schwitzende Hände, Bauchschmerzen und ein hämmerndes Herz. Der Lehrer geht von Reihe zu Reihe und verteilt die Blätter. Die Uhr tickt, alle sind hellwach, der Raum ist erfüllt von Energie. Aber: Der Kopf ist leer. Und das Gelernte ist wie weggeblasen…
Hat Ihr Kind schon einmal solch eine Situation erlebt? Diese innere Unruhe vor einer Prüfung und die Erkenntnis, das Gelernte nicht mehr abrufen zu können, kann ganz schön frustrierend sein. Hier stehen Eltern oft vor einer großen Aufgabe: Wie können sie ihrem Kind helfen, ohne dabei zusätzlichen Druck aufzubauen?
Unsere Expertin
Carina Illgner
Systemischer Coach
Unsere Expertin
Carina Illgner
Systemischer Coach
Carina Illgner ist systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche. Ihre Mission: Junge Menschen auf ihrer individuellen Entwicklungsreise zu begleiten und ihr Potenzial zu heben, um aus dieser Stärke heraus ihren Weg zu gehen. Regelmäßig teilt sie hier im Sailer Blog ihre Expertise und gibt praktische Tipps, die sich in ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bewährt haben. Heute: Werkzeuge, die Kinder dabei unterstützen, Gelerntes gezielt abzurufen.
Aber fangen wir vorne an: Was ist Prüfungsangst überhaupt?
Laut Dorsch Lexikon der Psychologie ist „Prüfungsangst eine Form der Leistungsangst, bei der eine Person vor und in einer Prüfungssituation ein Übermaß an Sorge, physiologischer Erregung, mentaler Desorganisation und unkontrollierbaren, selbstwertbedrohlichen Gedanken erlebt, den Anforderungen der Prüfung nicht zu genügen.“
Diese Definition zeigt, welch große Last Kinder mit Prüfungsangst auf ihren kleinen Schultern tragen und dass sich ein geringes Selbstwertgefühl durch Prüfungsangst äußern kann. Wenig Selbstwert stellt sogar das Kernproblem der Prüfungsangst dar, denn: Gefühle werden durch Gedanken erzeugt, die wiederum eine Signalwirkung auf den gesamten Körper haben. Ein Kind mit Prüfungsangst könnte zum Beispiel denken: „Ich schaffe das nicht!“, oder „Die anderen mögen mich nicht mehr, wenn ich eine schlechte Note schreibe“. Diese Gedanken signalisieren dem Gehirn eine lebensbedrohliche Situation und der Körper reagiert darauf.
Die Erklärung hierfür liegt in der Steinzeit, als der Ausschluss aus einer sozialen Gruppe tatsächlich lebensbedrohlich war. Auch wenn das Kind heute weiß, dass die schlechte Note in Mathe keine Lebensgefahr darstellt, löst sein Gehirn eine existenzielle Angst aus und aktiviert den so genannten „Fight, Flight or Freeze“-Modus: Es setzt Adrenalin frei und schaltet auf Kampfbereitschaft, Erstarren oder Flucht um. All diese Reaktionen entziehen dem Hippocampus, der für das Gedächtnis zuständig ist, die Energie und können in Prüfungen zu Wissensverlust, Konzentrationsproblemen oder Blackout führen.
Die gute Nachricht ist: Wir sind weder unsere Gedanken noch unsere Gefühle. Sie nicht. Und Ihre Kinder auch nicht.
Gedanken mögen zwar auftauchen, aber wir können lernen, die Kontrolle über sie zurückzugewinnen. Mehr noch, wir können sogar genau bei den Gefühlen ansetzen und das erschaffen, wonach Kinder mit Prüfungsangst sich am meisten sehnen: Sicherheit, Vertrauen und das Gefühl von Zugehörigkeit, egal welche Leistung sie erbringen. Indem eine Entkopplung zwischen der Liebe und Anerkennung des Umfelds und den schulischen Leistungen stattfindet, kann sich die Prüfungsangst langsam, aber sicher verabschieden. Sie wird ja schließlich nicht mehr gebraucht.
Klingt einleuchtend. Und wie mache ich das?
Ganz einfach! Mit diesem 3-Schritte-Plan:
Schritt 1: Gefühle benennen & Symptome beschreiben
- „Ich spüre, wie meine Hände schwitzen und zittern.“
- „Mein Herz klopft schnell.“
- „Mir wird schwindelig.“
Vielleicht erinnern Sie sich noch an Rumpelstilzchen aus Grimms Märchen. Es verlor seine Macht, als es beim Namen genannt wurde. Genau so ist das mit der Angst auch: Sobald wir sie benennen, wird sie Schritt für Schritt kleiner und löst sich womöglich sogar komplett auf.
Hören Sie Ihrem Kind dabei mit offenem Ohr und Herzen zu, ohne diese Gefühle und Symptome zu bewerten. Alternativ können Sie Ihr Kind auch einladen, die Gefühle der Angst aufzuschreiben, Sie können sie gemeinsam mit bunten Farben auf ein Blatt Papier zeichnen oder mit Knetmasse kneten. Lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf! Wichtig ist einzig, dass die Gefühle der Angst klar benannt werden.
Schritt 2: Gefühle akzeptieren & bewusst machen
Es ist wichtig die Gefühle der Angst zu würdigen und ihnen bewusst Raum zu geben. Sagen Sie die folgenden Sätze gemeinsam mit Ihrem Kind und / oder wiederholen Sie sie in einem einprägsamen Rhythmus:
- „Es ist okay, Angst zu haben.“
- „Meine Gefühle sind okay. Sie wollen mir nur etwas sagen.“
- „Meine Angst will mich schützen.“
Schritt 3: Gefühle transformieren
Hier geht es darum, die Angst in Vertrauen umzuwandeln. Dies kann durch Visualisierung, gezieltes Atmen und die Frage unterstützt werden, was ein Vorbild wie Pippi Langstrumpf oder Spiderman in dieser Situation tun würde.
Gemeinsam mit Ihrem Kind können Sie am Tag vor der Prüfung gedanklich in die Zukunft reisen und sich vorstellen, wie es wohl wäre, wenn alles genau so läuft, wie das Kind es sich wünscht. Diese Visualisierung lenkt den Fokus weg von kontraproduktiven Gedanken hin zu positiven Bildern. Sollte die Angst während der Prüfung auftreten, ist Atmen ein wertvolles Werkzeug. Durch ruhiges, langsames Atmen in den Bauch zeigen Kinder ihrem Körper, dass sie sicher sind und gelangen schnell wieder in ihre Selbstwirksamkeit.
Daneben kann es hilfreich sein, gemeinsam mit Ihrem Kind die Prüfungssituation zu simulieren und durchzuspielen. Dies ist besonders bei mündlichen Prüfungen sehr nützlich, da das Kind sich während der Prüfung an diese geübte Situation zurückerinnern und dadurch Sicherheit gewinnen kann. Solche Übungen sollten spielerisch und freudig gestaltet sein, denn Spaß ist ein wesentlicher Faktor beim Lernen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Kinder bei Prüfungsangst große Unsicherheit erleben. Was sie brauchen, ist das Gefühl von Sicherheit, Unterstützung und Liebe. Sie sollten verstehen, dass ihre schulische Leistung nichts mit ihrem Wert als Mensch zu tun hat.
Zum Abschluss finden Sie deshalb einige Sätze, die Sie Ihrem Kind immer wieder sagen können:
- „Ich liebe dich, egal was passiert. Ich bin und bleibe bei dir.“
- „Du bist sicher und geliebt. Keine Note kann daran jemals etwas ändern.“
- „Du gibst dein Bestes, und das ist mehr als genug.“
geschrieben von
Carina Illgner
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