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Ein freudestrahlender Junge ist zu sehen.

Warum wir die Erziehung von Jungs neu denken müssen

Bestsellerautorin Anne Dittmann im Interview über die Entwicklung von Jungs und wie Eltern sie bestärken können.

Was brauchen Jungen heute, um zu starken, empathischen Männern zu werden?

Diese Frage stellen sich viele Eltern, Erziehende und Lehrkräfte, gerade in einer Zeit, in der alte Rollenbilder wackeln und neue Antworten fehlen. Die Journalistin und Bestsellerautorin Anne Dittmann will neue Ideen in unseren Familienalltag bringen. In ihrem neuen Buch „Jungs von heute, Männer von morgen“ spricht sie über Fürsorge, Gefühle, Feminismus – und wie wir unsere Söhne besser begleiten können. Wir haben mit ihr gesprochen. 

 

 

 

 

Bestseller-Autorin Anne Dittmann

Im Interview

Anne Dittmann

Bestseller-Autorin Anne Dittmann

Im Interview

Anne Dittmann

Ein Gespräch mit Bestseller-Autorin und Journalistin Anne Dittmann

Liebe Anne, du hast bereits mehrere Bestseller geschrieben, dein jüngstes Buch trägt den Titel „Jungs von heute, Männer von morgen“. Wie kamst du auf diese Buch-Idee und was möchtest du deiner Leserschaft damit auf den Weg geben? 

Ich hatte ein Video über Jungs-Erziehung von einer Feministin aus meinem Umfeld gesehen. Es war sehr hart, ganz nach dem Motto: „Die Jungs müssen da jetzt halt durch.“ Das hat mich nicht angesprochen – und auch nicht zu meinem Sohn gepasst. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich als Mutter oft zwei Stimmen in mir habe: die der Feministin, die sagt „Er soll kein Macho werden“, und die der fürsorglichen Mama, die ihm einfach ein Glas Wasser bringen möchte, wenn er Durst hat. Ich glaube, viele Eltern kennen diesen Zwiespalt. 

Ich spürte also: Es braucht einen anderen Blick auf Jungs. Wenn wir neue Wege gehen wollen, dann nicht durch Härte, sondern durch Verbindung. Und: Es gab kein Buch, das diese Fragen wirklich beantwortet hat. Also habe ich mich selbst auf die Suche gemacht, in der Männlichkeitsforschung, in meiner eigenen Biografie und mit der Haltung: Ich muss nicht alles wissen, aber ich will verstehen.  

Du beschreibst in deinem Buch, wie wir Jungs stärken können. Insbesondere sprichst du darüber, wie wir sie begleiten können, Zugang zu den eigenen Emotionen zu finden.

Wichtig dabei ist: Gefühle sind kein fertiger Baukasten. Kinder kommen mit Affekten auf die Welt und entwickeln erst nach und nach ein emotionales Vokabular. Das war auch für mich eine neue Erkenntnis. Und es hat mir geholfen, zu verstehen: Wir als Eltern spielen eine wichtige Rolle dabei, unseren Kindern zu helfen, Gefühle zu benennen und einzuordnen 

Es ist ein lebenslanger Prozess, ein Garten, der nie „fertig“ ist. Unsere Aufgabe als Eltern und Erziehende ist es, mit ihnen zu gärtnern. Und das geht über Sprache: „Bist du traurig?“„War das gerade frustrierend?“ So lernen sie, sich selbst zu spüren. Und sie erfahren: Ich werde verstanden, ich bin okay, wie ich bin. Das schafft Verbindung. Ganz wichtig ist auch, sie nicht zu beschämen.  

Was meinst du mit „beschämen“?

Sätze wie „Na komm, ist doch nicht so schlimm“ oder „Du bist doch stark, jetzt reiß dich mal zusammen.“ Das meinen Eltern oft nicht böse. Aber sie vermitteln: Deine Gefühle sind nicht richtig. Gerade Jungs bekommen oft signalisiert, dass Weinen oder Traurigkeit nicht „männlich“ seien. Das müssen wir durchbrechen.  

Wie verbreitet sind heute noch Sätze wie „Da musst du jetzt durch“ oder „Reiß dich zusammen“? Und wie können wir anders reagieren?

Solche Sätze sind leider immer noch da – weil viele Eltern ihre Söhne für eine harte Welt „fit machen“ wollen. Sie meinen es gut, aber sie geben weiter, was sie selbst gelernt haben.  

Stattdessen sollten wir uns fragen: Was hilft meinem Kind gerade wirklich? Ein Satz wie „Ich sehe, das war schwer für dich“ ist kraftvoll. Und vor allem: Wir müssen diese Vorstellung loslassen, dass wir Jungs „abhärten“ müssen, indem wir als Bezugspersonen sie als Heranwachsende von uns abkoppeln und sie in eine Selbständigkeit drängen, die ihren Bedürfnissen und ihrer Entwicklung nicht entspricht. Das ist nicht zeitgemäß. Es ist verletzend für die Jungs und schafft einen Schmerz, der sich ein Leben lang auswirkt.   

Was hilft da konkret im Alltag?

Einfühlen, benennen, präsent sein. Wenn ein Kind wütend ist, nicht sofort schimpfen, sondern sagen: „Du bist gerade richtig wütend, oder?“ Das gibt Sicherheit. Und wir können neue Strategien anbieten: Wie gehe ich mit Frust um? Wie spreche ich, wenn ich verletzt bin?  

Du sagst auch, wir sollten den Satz „So einer soll er nicht werden“ streichen …

Unbedingt. Der führt zu Angst und Reaktion statt zu Entwicklung. Stattdessen sollten wir uns fragen: Was möchte ich ihm mitgeben? Zum Beispiel: Fürsorge. Für sich selbst, für andere, für die Welt. Das ist ein Ziel, das verbindet – und uns in der Erziehung leitet.  

Wie wichtig sind männliche Vorbilder? Und was macht es mit Jungen, wenn es zu wenige männliche Vorbilder zuhause, in Kitas, Schulen etc. gibt?

Die Forschung sagt: Das Geschlecht der Bezugsperson ist nicht entscheidend. Wichtig ist, wie jemand Beziehung gestaltet, wie er oder sie mit Gefühlen, Macht und Fürsorge umgeht. Klar, es wäre schön, wenn Väter moderne Vorbilder wären. Aber Mütter sind keine „Notlösung“. Sie sind gleichwertige Vorbilder. Wir sollten aufhören, sie kleiner zu machen, nur weil sie keine Männer sind. Wenn sie Fürsorge, Verantwortung und Resilienz vorleben, dann ist das Gold wert – für Jungs und für Mädchen.  

Eine Mutter und ein Sohn umarmen sich.

Es gibt immer wieder Studien, die belegen, dass Jungs bereits im Kindesalter eine geringere Stresstoleranz aufweisen als Mädchen. Wie gehen Jungs mit Stress und Krisen um und wie können wir sie da abholen, wo sie stehen?

Jungs sind im heranwachsenden Alter oft in Gruppen unterwegs, wo es noch immer um Wettbewerb und Vergleiche geht und darum, voreinander zu bestehen. Sie haben seltener enge Freundschaften, in denen sie sich emotional zeigen dürfen. Gleichzeitig erwarten viele Eltern zu früh Selbstständigkeit: „Das schafft er schon allein.“ Aber Gefühle, Scheitern, Hilfeholen: All das widerspricht noch oft den gelernten Männlichkeitsnormen. Und genau das macht sie anfälliger für Rückzug, Überforderung – im Extremfall auch für Gewalt oder Selbstverletzung. Deshalb ist es so wichtig, ihnen von Anfang an zu zeigen: Um Hilfe und Unterstützung zu bitten ist keine Schwäche und kein Versagen. Und du bist wertvoll, auch wenn du gerade nicht „funktionierst“.  

Welchen Einfluss spielen soziale Medien und männliche Influencer bei der Entwicklung von Jungen?

Ja, leider schon einen ziemlich großen. Das Problem sind die Algorithmen, die so gebaut sind, dass sie radikale Inhalte nach vorne bringen – und differenzierte, diplomatische, demokratische Inhalte, die nicht so schnell konsumierbar sind, eher hinten runterfallen. Es ist ein strukturelles Problem von Social Media: je mehr Reichweite, desto besser fürs Geschäft.  

Deshalb braucht es Schocker. Radikale, einseitige Inhalte. Wir sehen, dass Jungs, wenn sie auf TikTok nach Mental Health suchen, ziemlich schnell mit sogenannten „Männlichkeitscoaches“ konfrontiert werden, die ihnen von männlicher Energie erzählen, von NoFap (Anmerkung der Redaktion: Der Begriff steht dafür, freiwillig auf Pornografie und Masturbation zu verzichten, um mentale Klarheit, Selbstkontrolle und persönliche Entwicklung zu fördern) und wie sie erfolgreicher bei Frauen und im Beruf werden. Da sind Menschen unterwegs, die einseitige und gefährliche Inhalte verbreiten. Das wirkt auf Heranwachsende besonders stark.  

Social Media radikalisiert tendenziell, das ist inzwischen gut untersucht. Das heißt, wir als Eltern und Erziehende können nicht einfach sagen: „Ach, ist doch halb so wild.“  

Was hilft?

Frühe Medienbildung. Reden. Fragen stellen: „Was schaust du da? Wie fühlst du dich dabei? Willst du mir etwas zeigen? Was interessiert dich daran?“  

Junge macht ein Selfie.

Das verhindert auch, erst dann zu reagieren, wenn’s brennt.

Genau. Es befähigt uns Erziehende, kontinuierlich zu begleiten und da zu sein. Ich habe mit meinem Sohn schon früh über Sexismus, Ableismus, Rassismus gesprochen – anhand realer Beispiele, wie etwa Prominente, die sich in Podcasts über Paralympics-Sportler äußern. Das macht ihn sicherer und sensibilisiert ihn, Narrative zu erkennen.  

Was ebenfalls problematisch ist: Viele Erwachsene wissen gar nicht, was online abgeht. In der Serie „Adolescence“ war das ja auch so. Der Vater versteht seinen Sohn nicht mehr, er merkt erst beim Mittagessen, dass er völlig den Kontakt verloren hat. Und das ist Realität. Mein Sohn war zum Beispiel auf Klassenfahrt. Da wurde der Song „Sigma Boy“ gewünscht, ein Begriff aus der Manosphere. Mein Sohn sagte, viele Kinder haben aufgehört zu tanzen, er auch. Weil der Song sexistisch ist. Und die Lehrkräfte? Haben einfach weitergetanzt. Die haben nicht mal gemerkt, was los war. Daran sieht man: Es entstehen Parallelwelten. Die Jugendlichen erkennen Codes sofort, die Erwachsenen merken es gar nicht.  

Was können Eltern, Lehrkräfte und Erziehende tun, um in Verbindung zu bleiben?

Sie müssen die Lebenswelt der Kinder kennen. Was passiert auf TikTok? Was bedeutet „Sigma“? Es braucht Räume, wo Jugendliche ihre Themen einbringen können, ohne sofort bewertet zu werden. Und: Schulen brauchen Strukturen, die das ermöglichen. Die Lehrkräfte allein können es nicht stemmen, viele sind überlastet, stecken selbst in einer Care-Krise, da kann man nicht noch mehr Verantwortung auf sie abladen.  

Vielleicht braucht es Social-Media-Beauftragte oder den regelmäßigen Austausch mit den Eltern. Aber vor allem braucht es Zeit. Und echtes Interesse. Von allen Seiten.  

Es bleibt wahrscheinlich einfach die Verbindung als große Chance.

Ja. Und dafür braucht es Offenheit und das Bewusstsein: Ich bin nicht fertig mit Lernen, nur weil ich erwachsen bin.  

Wenn unserer Community nur eine Aussage aus deinem Buch in Erinnerung bleiben würde, welche sollte das sein?

Jungen sind verletzlich und fürsorglich. Wenn wir das wirklich glauben, dann erziehen wir anders. Und dann können unsere Söhne ganz bei sich ankommen.  

Kathi Schmitz

geschrieben von
Kathi Schmitz