Manchmal ist der Wurm drin! Die Bedürfnisse zwischen Eltern und Kindern scheinen meilenweit auseinanderzuliegen und hinter jeder Ecke lauert ein Konflikt. Das zehrt! Und ist eigentlich auch gar nicht nötig, denn es gibt ein wirksames Gegenmittel: Gewaltfreie Kommunikation. Was hinter dem Begriff steckt und wie sie funktioniert, das erfahren Sie hier.
Im Interview
Carina Illgner
Systemischer Coach
Im Interview
Carina Illgner
Systemischer Coach
Carina Illgner ist systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche. Ihre Mission: junge Menschen auf ihrer individuellen Entwicklungsreise zu begleiten und ihr Potenzial zu heben, um aus dieser Stärke heraus ihren Weg zu gehen. Welchen Beitrag die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) dabei leistet und warum sie einen festen Platz in der (Familien-) Kommunikation verdient hat, das erklärt sie im Expertinnen-Interview.
Liebe Carina, Gewaltfreie Kommunikation ist in aller Munde. Aber: Was versteht man eigentlich darunter?
„Gewaltfreie Kommunikation“ (GfK) ist ein von Marshall B. Rosenberg entwickelter Kommunikations- und Konfliktlösungsprozess. Er basiert auf der Annahme, dass alles, was wir Menschen tun, der Bedürfniserfüllung dient.
Ziel der GfK ist eine wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe. Sie spielt vor allem dann eine Rolle, wenn unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen und sich ein Konflikt anbahnt.
GfK folgt einem logisch aufeinander aufbauenden Schema aus 4 Schritten:
1. Beobachtung teilen:
Im ersten Schritt teilen wir die eigene Beobachtung möglichst neutral und wertfrei in einer Ich-Botschaft. (Dabei kann es hilfreich sein, bereits hier Offenheit für die andere Seite zu zeigen, indem wir nach dem Bedürfnis hinter dem beobachteten Verhalten fragen.)
2. Gefühl benennen:
Im zweiten Schritt beschreiben wir möglichst genau unsere Gefühle wie Ärger, Wut, etc. Auch hier ist es wichtig, bei sich zu bleiben und in Ich-Botschaften zu kommunizieren.
3. Bedürfnis kommunizieren:
Nun teilen wir das eigene Bedürfnis mit, das gewahrt werden soll.
4. Wunsch / Bitte formulieren:
Zuletzt formulieren wir einen klaren Wunsch / eine Bitte. Aus meiner Erfahrung lohnt es sich, ein Angebot zu machen, wie auch die Gegenseite ihr Bedürfnis erfüllen kann. Das zeigt unsere Empathie und unseren Teamgedanken, welche für das Gelingen von GfK grundlegend sind.
Lass uns das doch gleich einmal mit einem Beispiel versehen. Kannst du Schritt für Schritt erklären, wie wertschätzende und respektvolle Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen ablaufen kann?
Sehr gern teile ich dazu ein Beispiel aus einem meiner Workshops mit Kindern, bei dem die Teilnehmer:innen freudestrahlend anfingen, Obstschalen hin und herzuwerfen. Für mein Empfinden keine gute Situation, da mein Bedürfnis nach einem sauberen Raum und der Aufmerksamkeit der Kinder dadurch unerfüllt war. Zuallererst gab ich mir Zeit, um durchzuatmen, um anschließend aus einer emotional gestärkten Haltung heraus in die Kommunikation mit den Kindern zu treten:
Zunächst habe ich meine Beobachtung geteilt: „Ich sehe, dass ihr gerade Obstschalen hin und her werft.“ (Schritt 1: Beobachtung)
Dann habe ich mein Gefühl in einer Ich-Botschaft formuliert: „Ich ärgere mich, wenn das passiert.“ (Schritt 2: Gefühl benennen)
Mein Bedürfnis habe ich in Schritt 3 geteilt: „Mir ist es wichtig, dass wir einen sauberen Raum haben und aufmerksam zusammenarbeiten.“
Abschließend habe ich in Schritt 4 den klaren Wunsch formuliert. Außerdem bin ich mit Offenheit und Verständnis auf das Bedürfnis der Kinder eingegangen: „Ich wünsche mir, dass ihr damit aufhört und die Obstschalen in den Müll werft. Ist es richtig, dass ihr gerade etwas Bewegung braucht? In 10 Minuten machen wir eine Pause und gehen mit dem Ball nach draußen.“
Anfangs könnte man meinen, GfK sei im Alltag schwer umzusetzen. Meine persönliche „Eintrittstür“ ist daher immer, mir bewusst zu machen, dass ein Bedürfnis hinter dem mich irritierenden Verhalten steckt. Ich erlebe es als ungemein hilfreich, mit der Grundhaltung heranzugehen, dass die anderen mir nichts Böses wollen. Sie meinen nicht mich, sie wollen sich lediglich ein Bedürfnis erfüllen.
Zum Abschluss ist mir eines noch wichtig zu sagen:
Wir sind alle „nur“ Menschen und gerade in stressigen Situationen kann es passieren, dass sich Grenzen verschieben oder unsere innere Haltung ins Wanken gerät. Es kann passieren, dass wir Fehler machen und dabei ungerecht oder sogar strafend zu unseren Kindern sind. Wichtig ist es, hier zunächst wertschätzend und gut zu sich selbst zu sein, sich den Fehler zu verzeihen und mit dem Kind anschließend liebevoll ins Gespräch zu gehen. Eine ernst gemeinte Entschuldigung beweist so viel Stärke und baut meist noch mehr Nähe und Verbundenheit in der Beziehung zum Kind auf.
Danke Dir, liebe Carina! Wir freuen uns auf Teil 2 des Interviews mit dir.
Darin enthalten: Wie Familien die Gewaltfreie Kommunikation im Alltag leben können und wodurch Augenhöhe und Erziehung Hand in Hand gehen. Jetzt lesen!