Frühkindliche Sprachförderung: Deshalb ist sie so wichtig!
So unterstützen Sie die Sprachentwicklung Ihrer Kinder von Anfang an
Michaela Hopf hat eine Professur für Wissenschaft, Theorien und Forschungsmethoden in der Kindheitspädagogik an der Hochschule Düsseldorf. Dort leitet sie den Studiengang „Kindheitspädagogik und Familienbildung“. Im Interview erklärt sie, ab wann eine gezielte Sprachförderung sinnvoll ist und wie diese im vollgepackten Familienalltag gelingt.
Frau Hopf, warum ist frühkindliche Sprachförderung so wichtig und wie beeinflusst sie die weitere Entwicklung der Kinder?
Die sprachliche Bildung und Sprachförderung hat in den vergangenen Jahren eine besondere Aufmerksamkeit in der frühkindlichen Bildung erfahren. Im mittlerweile veralteten Konzept der „Schulreife“ war die kindliche Sprachfähigkeit ein wichtiges Kriterium. Heute sind wir weiter. Kinder „reifen“ nicht einfach so vor sich hin. Vielmehr spiegelt sich im schulfähigen Kind bereits seine Bildungs- und Lernvergangenheit wider. Wir wissen, dass Sprache der zentrale Schlüssel zum Bildungserfolg von Kindern ist.
Sprache ist wichtig für die Entwicklung weiterer kognitiver Fähigkeiten. Sie ist zentral dafür, wie sich die Persönlichkeit von Kindern weiterentwickelt
Doch Sprache bedeutet in der frühkindlichen Entwicklung weit mehr, als nur Sprechen zu lernen. Sprache ist wichtig für die Entwicklung weiterer kognitiver Fähigkeiten. Sie ist zentral dafür, wie sich die Persönlichkeit von Kindern weiterentwickelt, die Selbstwirksamkeit und dafür, ob sie sich in eine Gruppe integrieren können. Das macht Sprache zu einem weitaus umfassenderen Thema, als vielen Leuten auf den ersten Blick bewusst ist.
Unser Tipp: Altersgerechte Geschichten, sorgfältig ausgewählte Wörter und Themen, lustige Reime, die bei Kindern die Freude an der Sprache wecken. Mit Kolala, unserem Vorlese-Magazin für Kinder ab 2 Jahren, erfolgt die frühkindliche Sprachförderung ganz nebenbei.
Ab welchem Alter macht Sprachförderung Sinn?
Von Anfang an! Die kindliche Sprachentwicklung beginnt bereits vor der Geburt. Säuglinge erkennen sowohl die Sprachmelodie und Rhythmik als auch die Stimme der Mutter nach der Geburt wieder. Dann kommunizieren Babys auch von Anfang an sehr erfolgreich mit uns, indem sie alle Ausdrucksmöglichkeiten verwenden, die ihnen zur Verfügung stehenden: vom Lächeln über das Zeigen bis zum Wegdrehen oder Schreien.
Sprachentwicklung anzuregen ist allerdings etwas anderes als eine gezielte Sprachförderung. Diese benötigen Kinder nur dann, wenn es in der sprachlichen Entwicklung Auffälligkeiten oder Verzögerungen gibt. Bei Kinderärzt:innen und pädagogischen Fachkräften erhalten Sie dazu erste Informationen und Unterstützung.
Wodurch wird Sprache gefördert und wie können Eltern und Bezugspersonen das im oftmals prall gefüllten Familienalltag leisten?
Ganz einfach: Wir unterstützen Kinder, indem wir mit ihnen sprechen und interagieren. Es braucht nur viele Gelegenheiten und Anlässe, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Wenn man sich bewusst macht, dass für Kinder alles neu und interessant ist, dann liefert der Alltag schon sehr viel, um die Sprachentwicklung zu unterstützen.
Eltern können zum Beispiel ihr Handeln sprachlich begleiten, also beschreiben, was sie tun. Gut ist auch, offene Fragen zu stellen, die Kinder nicht nur mit Ja oder Nein beantworten können.
Natürlich gelingt das im Familienalltag nicht immer. Wenn Eltern in Eile sind, verändert sich auch die Sprache. Ich werde dann zum Beispiel sehr still und spreche in knappen Sätzen: „Schuhe anziehen, jetzt!“. In einer solchen Satzkonstruktion steckt nicht viel, was ein Kind sprachlich rausziehen kann. Gerade deshalb ist es wichtig, bewusst Gelegenheiten zu schaffen, um miteinander zu sprechen.
Besonders gut eignet sich dafür das „dialogische Vorlesen“. Hier schafft man gemeinsame Lese-Momente, die die Bindung kontinuierlich stärken.
Sie sprechen von „dialogischem Lesen“. Worin liegt der Unterschied zum klassischen „frontalen“ Vorlesen?
Wenn ich von Vorlesen sprechen, meine ich in der Regel das klassische Vorlesen. Dabei ist nur die vorlesende Person sprachlich aktiv, die Kinder hören eher passiv zu. Kleinkinder, die selbst noch nicht lesen können, kommen so mit Schriftsprache in Berührung, die sich ja von gesprochener Sprache stark unterscheidet. Daneben fördert es die Konzentration und bietet viel Wortschatz. Aber es fördert keine aktiven Sprachfähigkeiten.
Beim dialogischen Lesen dagegen geht es darum, Kinder zum Sprechen anzuregen, nachzufragen, sich auf die Ideen und Vorstellungen der Kinder einzulassen und im Idealfall Gedanken und Ideen gemeinsam weiterzuentwickeln. Bei bereits bekannten Geschichten kann man Kinder bitten, sie in ihren eigenen Worten zu erzählen oder sie fragen, ob sie sich an Teile der Geschichte erinnern.
Grundsätzlich eignen sich Bilderbücher ohne Text oder Wimmelbücher für diese Form des Lesens gut, weil sie die Erwachsenen nicht dazu verführen, doch ins klassische Vorlesen zu verfallen.
Sie weisen darauf hin, wie wichtig es für die Entwicklung ist, von klein auf bewusst mit Kindern zu interagieren. Wie hängen Lernen und Bindung zusammen?
Grundsätzlich bestimmt die Art und Weise, wie Interaktionen gestaltet werden, ob es zu engen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen Eltern und Kind kommt. Eine sichere Bindung zeigt sich in bestimmten Verhaltensweisen, etwa Blickkontakt, Lächeln oder Schutzsuchen bei Angst. Eine positive Beziehungsqualität steigert die Bereitschaft eines Kindes, sich für neue Erfahrungen zu öffnen, etwas auszuprobieren und zu lernen.
Das zeigt einmal mehr: Lernen ist ein sozialer Prozess und die bewusste Gestaltung von Interaktionen hilft dabei, Lernprozesse zu unterstützen. Zum Beispiel wenn wir Kindern dabei helfen, ein Problem zu lösen. Wie das gelingt? Indem wir den Ideen der Kinder folgen, nachfragen und abwarten, sie nicht sofort unterbrechen. Vielmehr sollten wir sie ermutigen, es selbst zu versuchen und Erklärungen einzufordern. Wenn wir so Gespräche gestalten, entstehen auch im Alltag sprachförderliche Bildungssituationen. Ich verspreche Ihnen: Das macht richtig Spaß. Und gelingt auch im täglichen Trubel.